Interview mit Ruben Chababo, Direktor des "Museo de la Memoria"
Das Museum der Erinnerung in Rosario/Argentinien ist ein Museum, in dem die Erinnerung an die Zeit der Diktatur in Argentinien zwischen 1976 und 1983 wach gehalten wird - damit diese Zeit nicht wieder kommt. Es befindet sich in einem alten Bahnhof am Rande von Rosario und soll in absehbarer Zeit in das Stadtzentrum übersiedeln. Im Gespräch mit Regisseur Gernot Lercher erläutert der Direktor Ruben Chababo die Arbeit des Museums.
Gernot Lercher: Wie akzeptieren die Menschen von Rosario das "Museum der Erinnerung"?
Ruben Chababo:Das ist etwas, das sich im Lauf der Zeit verändert hat. Das Thema der Erinnerung ist ein sehr komplexes, das viele Ecken und Kanten hat. Es ist ein Thema, das einen verpflichtet, sich selber Fragen über seine eigene Gegenwart und die Vergangenheit zu stellen. Wir können sagen, dass die Menschen langsam akzeptieren, dass dieses Thema der Erinnerung an die letzten Jahre der Militärdiktatur geknüpft ist, ein Thema, das in den täglichen Kalender eingeschrieben sein muss. Ich kann sagen, in den letzten Jahren gibt es eine immer größere Akzeptanz von Seiten der Öffentlichkeit: Das kann man etwa daran erkennen, dass eine Vielzahl von schulischen Einrichtungen fragen, ob Sie das Museum besuchen können. Jahr für Jahr werden es mehr schulische Einrichtungen, die durch unsere Säle gehen oder eine Art von Erklärung bekommen, etwa durch eine Aktivität, die durch die pädagogischen Lehrabteilungen gefördert wurde. Aber wir müssen etwas klarstellen: Es handelt sich um eine sehr komplexe und mit sehr viel Widerstand behaftete Thematik mit offenen Wunden. Also verstehen wir, dass es Teile der Gesellschaft gibt, die Widerstand dagegen hegen, diese Geschichte zu hören.
Gernot Lercher: Rosario ist eine Stadt der Menschenrechte. Welche Rolle spielt dieses Museum im Konzept der Stadt der Menschenrechte?
Ruben Chababo: Es spielt eine fundamentale Rolle. Wir erzählen hier die Geschichte, eine tragische Geschichte, die während der Jahre 1976 bis 1983 in unserem Land passierte. Was wir machen ist: Wir erinnern, dass dies passierte, dass die Bedrohung ihrer Widerholung, nicht nur im – aus vielen Gründen - fernen Argentinien, sonder dass ihre Widerholung in verschiedenen Kulturen möglich ist und sich auch tatsächlich wiederholt. Heute - und gerade jetzt, während wir Fotos von Menschen zeigen, die gefoltert oder ermordet wurden, werden Menschen zur selben Zeit in Lateinamerika und der restlichen Welt gefoltert und ermordet. Das heißt, die Funktion, die ein Museum dieser Art hat, ist nicht nur erinnern an das, was passiert ist, sondern die Lektionen aus der Vergangenheit herauszufiltern. Wir möchten dies nicht durch eine Vitrine eines Museums vermitteln. Dieses Museum lässt die Menschen erkennen, dass jene, denen das passiert ist, die Möglichkeit hatten, es zu vermeiden. Dass es einige gab, die kollaborierten, damit dies geschehen konnte und dass Diktaturen und autoritäre Regime nicht einfach so vom Himmel fallen, sondern etwas sind, was die eigene Gesellschaft erschaffen hat. Es gibt keinen Unterschied zum Stalinismus, Nationalsozialismus oder Rassismus – es sind ideologische Bewegungen oder soziale wie geschichtliche Phänomene, die ihre tiefen Verwurzelungen in der menschlichen Gemeinschaft haben. Deswegen müssen wir sehr wachsam sein und die Augen offen halten. Es gibt keine Gefahr der militärischen Diktatur in Argentinien, aber wir wissen, dass wir in einer Welt leben die sich ständig verändert und wir müssen Wächter unseres Nächsten sein.
Gernot Lercher: Hat ein Museum wie dieses die Chance und wenn ja wie, an den Menschenrechten zu arbeiten?
Ruben Chababo:Wir machen das ständig. Unsere Aufgabe ist es, unsere Vergangenheit zu betrachten und auf die Gegenwart zu beziehen. Deshalb arbeitet unsere pädagogische Abteilung daran, die allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu verbreiten und Ausstellungen über Themen zu erstelln, die nichts mit der Diktatur zu tun haben, wie etwa die Ausbeutung der Frauen in Zentralamerika – was nicht notwendigerweise mit dem Thema der Diktatur zu tun hat. Uns interessiert es, dass das Konzept der Menschenrechte immer mehr von den Menschen verinnerlicht wird und dass es nicht ausschließlich mit diesem Museum hier verbunden wird, sondern mit der Gegenwart. Die Vergangenheit ist hierzu sozusagen der Boden, um zu lernen. Das ist es, was uns interessiert – die Vergangenheit als Lernfeld.
Gernot Lecher: Dieses Museum ist nicht nur ein Museum, sondern auch ein Dokumentationszentrum. Warum beides?
Ruben Chababo: Dieses Museum wurde mit der Idee gegründet, nicht nur ein Ausstellungsort von Bildern zu sein, sondern um zu verändern. Und wir glaubten, dass es wichtig sei, eine Bibliothek zu schaffen, und gleichzeitig auch die Gegenwart zu dokumentieren, die dann als Beweis für die Zukunft dient. Sie dient als Zeugnis, dass dies alles passierte und nicht eine Erfindung der Geschichtsschreiber ist, wie es Irving mit dem Holocaust behauptet. Es ist keine Einbildung, nicht etwas Nichtiges – dies existierte wirklich. Die Dokumentation der Geschichte dient dazu, den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen zu zeigen, dass dies weder eine Kleinigkeit oder eine Erfindung ist. Deshalb verfolgen wir diese Arbeit, deshalb haben wir die Bibliothek und die Abteilung für Erziehung.
Link: Museo de la Memoria