Claudio "El Pocho" Lepratti war Theologiestudent und Sozialarbeiter in Rosario, Argentinien. Er engagierte sich unermüdlich für die Armen in einem Außenbezirk von Rosario. Als es am 19. Dezember 2001 im Rahmen von Unruhen zu einem Übergriff der Polizei vor einer Schule kam, stellte er sich schützend vor die Schülerinnen und Schüler einer Schule und forderte die Polizei auf, nicht zu schießen. Die Polizei eröffnete aber das Feuer, Claudio Lepratti wurde getroffen und war innerhalb weniger Augenblicke tot. Er gilt in der Zwischenzeit als Märtyrer und als Symbol des Widerstandes, Symbole für ihn, die man vielen Wänden in Rosario und Umgebung finden kann, sind sein Fahrrad und die Ameise als Zeichen für seinen unermüdlichen Einsatz.
Im Rahmen eines Schulwettbewerbes befasste sich eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern mit dem Leben von Claudio Lepratti, in dem sie ein Theaterstück über das Leben von Claudio Lepratti „El Pocho“ erarbeitete. Im Rahmen der Dreharbeiten in Rosario filmte das Team eine Probe für das Theaterstück und begleitete den Regisseur und die Hauptdarsteller an den Ort, an dem El Pocho starb.
Gernot Lercher: Wie wichtig ist es, Menschenrechtsthemen wie dieses in ein Theaterstück zu verpacken? Wie konnte dies dazu betragen, dass die Menschen aus der Nachbarschaft hier über die Situation von Lepratti hinwegkommen konnten?
Regisseur: Die Initiative innerhalb der Theatergruppe kam von den Klosterschwestern dieser Schule, die in diesem Viertel sehr viel Sozialarbeit leisten. Die Idee war, Bewusstsein über die Menschenrechte zu schaffen. In den vier Jahren, die wir hier als Theatergruppe tätig sind, haben wir immer wieder verschiedene Themen aufgegriffen, die die Risken und Verletzungen der Menschenrechte betreffen. In diesem Werk über Claudio Lepratti geht es um die Frage der Würde. Wenn jemand arm ist, geht es nicht so sehr um einen Fluch, einen Konformismus. In Verbindung mit der Frage der Würde, geht es auch um die Frage, wie die Armen aus der Situation hinaus kommen Es geht somit auch um eine Verpflichtung, um einen ideologischen Kampf – es geht um eine Aufgabe. Für uns war es sehr wichtig, diese Themen in verschiedenen Aspekten in das Viertel, das ein Randbezirk von Rosario ist, hineinzutragen. Es gibt in diesem Viertel viel extreme Armut sowie Arbeitslosigkeit. Es ist sehr wichtig, unter den Schülern ein Bewusstsein zu schaffen. Nur so können sie erkennen um welche Problematik es sich handelt und verstehen, dass sie, als Zeugen dieser Lebensbedingungen, bewusste Akteure sein können.
Gernot Lercher: Was hat es für die jungen Leute bedeutet, sich mit solch einem Thema auseinander zu setzen und es in ein Theaterstück zu verpacken?
Regisseur: Der Beginn der Arbeit erfolgte auf der Basis von Untersuchungen und Materialien. Vor allem die erste Lesung des Textes war für sie eine sehr intensive Erfahrung. Sie fühlten sich sofort vielmehr sozial, als ästhetisch oder stilistisch verpflichtet. Es ist eine Problematik, die sie mehrfach betraf: als Argentinier, als Menschen von Rosario sowie als Jugendliche des Viertels. Für sie war es nicht einfach ein Theaterstück, sondern etwas, in das sie Energie, Kraft, Leidenschaft sowie Ideologie steckten. Für sie war es sehr bedeutsam und ich glaube, dass wir es geschafft haben, dies auch zu zeigen. Denn für die gesamte Schule war es eine starke Erfahrung, dass die eigenen Schüler eine so problematische, so delikate, so kompromittierte Angelegenheit behandelten und sich ihr so hingaben. Insbesondere für die Schwestern, welche mit Claudio Lepratti bekannt waren, war es eine sehr starke Erfahrung.
Gernot Lercher: Glauben Sie, dass junge Menschen auf eine andere Art und Weise lernen, wenn sie so wie hier agieren?
Regisseur: Ich glaube, die Hauptaufgabe bei der Erziehung ist, solche Freiräume zu schaffen. Wenn man Schüler in einer entsprechenden Art und Weise anregen kann, sich in kritischer Form mit einem Thema auseinander zu setzen, sich zu verpflichten, nachzudenken und abstrahieren zu können, dann werden sie aktiv, partizipieren und verpflichten sich ohne Zweifel.
Es ist auch wichtig ihnen zu sagen, dass das nicht das Ende der Geschichte ist, sondern dass diese weiter geht: Wir müssen gehen, wir müssen die Fahne unserer Menschen aufnehmen. Diese Menschen können zwar ein paar Jahre mehr haben als wir, aber wir übertragen ihr Leben. Als Argentinier, als Bürger dieser Welt werden wir von so vielen Dingen bedroht. Diese Verpflichtung sollten alle Personen, die für die Erziehung von Jugendlichen verantwortlich sind, wahrnehmen. Sie dürfen nicht diese verlogene Idee der Globalisierung und dass die Welt perfekt wäre, verkaufen, wenn in der Realität 80% der Menschheit an Hunger stirbt. Sie sind jung, sie sind kritisch, sie reflektieren die Welt als Lebewesen. Die Revolution können wir offensichtlich nicht machen, wir können aber diese Freiräume des Widerstandes schaffen, die ideologische Fahne aufnehmen und diesen Frühling schaffen, von dem dieses Stück spricht.