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Interview mit Viviana Della Siega, Menschenrechtsstadt Rosario

Viviana Della Siega ist die Koordinatorin des Projektes „Menschenrechtsstadt Rosario“. Als sie zu ihrem zweiten Kind schwanger war, wurde ihr Mann so viele andere Aktivisten verschleppt. Gernot Lercher führte im Rahmen der Dreharbeiten für den Film „Menschenrechtsstädte dieser Welt“ am 9. März 2008 das folgende Interview in El Pozo, einem geheimen Foltergefängnis im Zentrum von Rosario/Argentinien.

Gernot Lercher:
Viviana, wir befinden uns in El Pozo, einem Ort, am dem geheime Folterungen durchgeführt wurden. Was macht die Menschenrechtsstadt, damit es zu Gerechtigkeit nach den Ereignissen der 1970er Jahre kommt?

Viviana Della Siega:
Nun, wir haben den Prozess begleitet, der dazu geführt hat, dass dieser Ort im Jahr 2002 den Menschenrechtsorganisationen zur Leitung übergeben wurde, damit er geöffnet wird und die jüngeren Generationen erfahren, was passiert ist. Es gibt Besuche von Schülerinnen und Schülern und jedes Jahr machen wir einen Kurs für Lehrkräfte, in dem wir die Menschenrechte mit einem ganzheitlichen Ansatz vermitteln. In diesem Kurs transportieren wir aber auch all das, was man unter Staatsterrorismus versteht, damit sie die Lehrer das den Schülerinnen und Schülern mitteilen können. Wir begleiten die Arbeit der Angehörigen wie der Mütter vom Plaza de Mayo, damit sie die Erinnerung an ihre Angehörigen wiedererlangen, mit dem grundlegenden Ziel, dass so etwas nie wieder passiert.

Gernot Lercher:
Sie haben uns gestern erzählt, dass im Augenblick Gerichtsprozesse vorbereitet werden, in denen das aufgearbeitet wird, was in den 1970er Jahren passiert ist. Welche Probleme gibt es mit den Zeugen, denen Ihr Euch gegenüber seht?

Viviana Della Siega:
Ich glaube, dass wirkliche Probleme entstanden sind, als vor eineinhalb Jahren ein sehr wichtiger Zeuge verschwunden ist, der der erste Verschwundene in der Zeit der Demokratie ist. Bis heute wissen wir nicht, was mit ihm passiert ist. Wir wissen auch nicht, mit welchen Unterdrückern wir es beim Prozess zu tun haben werden. Ich beziehe mich auf die Personen, die uns darüber Auskunft geben könnten, wo sich die Babys befinden könnten, die heute natürlich erwachsen sind und die umgebracht wurden. Diese Fälle schauen wie Selbstmorde aus, aber speziell in einem Fall hat der Richter mit Sicherheit festgestellt, dass es eine Ermordung war. Wir haben von den Autoritäten verlangt, dass sie einen Prozess in die Wege leiten, durch den die Sicherheit bei den Prozessen gewährleistet ist. Und zwar sowohl für die Zeugen, wie auch für die Unterdrücker, von denen wir wissen, dass sie in gewöhnlichen Gefängnissen festgehalten werden und nicht an Orten des Militärs oder der Streitkräfte. Es kann natürlich passieren, dass diese als Mitwisser zum Schweigen gebracht werden. Das Schutzprogramm fordern wir sowohl für die Zeugen, wie auch für die Unterdrücker. In all den Jahren haben die Opfer und die Familien der Opfer niemals Repressalien irgendwelcher Art ausgeführt. Wahrheit und Justiz, das wollen wir erreichen. Wir glauben, dass es wichtig ist, dass es zu diesen Prozessen kommt, damit man die Wahrheit erfährt und damit Recht gesprochen werden kann. Wir glauben daher, dass es sehr wichtig ist, dass auch die Unterdrücker lebend zu den Prozessen kommen, damit sich ein Rechtsstaat in Argentinien entwickeln kann. Im gleichen Zusammenhang fordern wir, dass Sicherheitssysteme eingezogen werden, damit nicht das gleiche passiert, was im Fall von Lopez passiert ist, wo die Familie im ersten Moment glaubte, dass er fortgegangen ist, während er tatsächlich entführt wurde.

Gernot Lercher:
Wenn man daran denkt, was ihr als Menschenrechtsstadt macht. Kann man sagen, dass ihr Erfolg habt?

Viviana Della Siega:
Ja, wir glauben schon. In dem Ausmaß, wie wir uns das Ziel unseres Programmes vorstellen, bei dem es darum geht, bei dem es um die Bildung im Bereich der Menschenrechte in einem ganzheitlichen Sinn geht. Nicht in dem Sinn, dass die Menschen die Menschenrechte mit der Erinnerung (an das Passierte), mit der Wahrheit und der Rechtssprechung in Verbindung bringen, sondern in einem ganzheitlichen Sinn, indem ihnen bewusst wird, dass zu den Menschenrechten auch die wirtschaftlichen, die kulturellen und die sozialen Rechte zählen. Wir wollen eine Kultur verändern, die in der Vergangenheit eine Kultur der Autorität und Unterdrückung war. Wir wollen sie in eine Kultur ändern, in der sich jeder als Subjekt der Menschenrechte sieht, die er selbst ausüben kann. Wir meinen, dass die erste Voraussetzung dafür, dass man die Menschenrechte ausüben kann, ihre Kenntnis ist. Und daher ist für uns die Verbreitung und die Bewusstseinsbildung über die Menschenrechte ein wichtiger Teil unserer Arbeit.

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